Über das richtige Gebet

■ Das Gebet ist essentiell wichtig für unseren Glauben und das geistliche Leben. Wie z.B. ein Adler nur dann fliegen und sich majestätisch in die Höhen erheben kann, was wir dann ja auch bewundern, wenn er seine Flügel entsprechend benutzt, so kann eine Seele nur dann die sündhafte Anziehungskraft des Diesseitigen und Irdischen überwinden bzw. sich dann auch Gott entgegen in geistige Höhen erheben, wenn sie das Gebet als die ihr geschenkten geistigen Flügel benutzt.
Dennoch gibt uns die kirchliche Seelsorge einige Hinweise in Bezug auf die richtige Art und das richtige Maß des Gebets. So gibt es ja Gebet oder Gebetseinheiten, die z.B. von ihrem Umfang und der Dauer bis zu einer Stunde oder eben länger gehen können. Dann gibt es Gebete, die nicht länger als 5-7 Minuten dauern. Schließlich kennt die kirchliche Tradition auch ganz kurze Gebete, die man auch als Stoßgebet bezeichnen kann.
Nach Empfehlung einiger geistlicher Lehrer sollten Menschen, die sozusagen in der Welt leben, zwar jeweils etwas kürzer, dafür aber etwas häufiger beten. Keinesfalls sollten sie länger beten, als dies für sie angesichts ihres Familienstandes, ihrer beruflichen Tätigkeit und, was oft gern übersehen wird, auch ihrer geistig-religiösen Entwicklung gut und somit angebracht ist.
Die Kirche kennt nämlich ganz konkret die negative Erfahrung mit Menschen, die erst kürzlich zum Glauben fanden und diesen dann sehr wohl sehr ernst nehmen. Da sie den Glauben nicht sozusagen mit der Muttermilch aufnahmen, legen sie eine etwas häufigere Tendenz zu gewissen ungesunden Übertreibungen an den Tag.
So kennen sie dann auch beim Gebet nicht immer das richtige Maß. Sie beten, beten und beten und meinen, immer mehr beten zu müssen. Und wenn sie dann aufhören müssen mit der jeweiligen Gebeteinheit, haben sie irgendwie ein schlechtes Gewissen, als würden sie dadurch fast schon etwas Unsittliches machen. Dann aber tritt bei ihnen gern auch die Phase der sog. „Sättigung“ und darauf auch schnell die der gewissen „Übersättigung“ beim Beten ein.
Bei einer solchen geistigen „Übersättigung“ entsteht im Menschen – offensichtlich in Entsprechung zu seiner menschlichen Natur – dann gern auch das Gefühl eines gewissen Ekels vor dem Gebet. Man kann nicht mehr richtig beten, weil es in einem ein großes Unbehagen hervorruft. Ein analoges Phänomen kennen wir alle ja z.B. auch in Bezug auf das Über-Essen mit den einen und denselben leiblichen Speisen. So führt eine entsprechende unkluge Übertreibung oft auch zum rapiden Abfallen des Interesses für das Gebet.
Eine fast schon typische Gefahr der Neubekehrten, die man in der Kirchengeschichte bestens kennt. Ganz konkret legt man sich in einem gewissen Übereifer z.B. die Verpflichtung auf, jeden Tag alle drei Rosenkränze zu beten oder extra viel früher aufzustehen, um vor dem Arbeiten-Gehen eine Stunde lang zu beten. Weil man sich aber ziemlich in Bezug auf die eigenen seelischen wie körperlichen Kräfte verrechnet (und gegebenenfalls ständig unausgeschlafen ist), hält man da eine Weile lang durch, bricht dann aber kräftemäßig stark ein und empfindet beim Gedanken an das Gebet folgerichtig eher Unwillen als Freude.
Wir müssen uns unserer Schwächen und Unzulänglichkeiten bewusst sein und klug auch mit unseren vorhandenen seelisch-geistigen Ressourcen handhaben. Nicht dass wir mit unseren potentiellen Übertreibungen etwa einem Gewichtheber gleichen, der zu viel Gewicht auflegt und sich damit vielleicht sogar gewaltig überfordert. Wie leicht kann er sich dann die Bänder reißen und die Knochen brechen und somit ganzheitlich zu einem Krüppel werden. Dann wird er u.U. auch nicht einmal eine weniger anstrengende Sportart ausüben können!
Deswegen auch der entsprechende Rat, lieber jeweils nicht zu lang, dafür aber etwas öfter zu beten als eben gleich mit zu viel zu beginnen, dafür aber auch die ernsthaft bestehende Gefahr einzugehen, dass das Gebet von ihm bald vielleicht sogar als abstoßend empfunden wird.
In der Ernährungswissenschaft gibt man ja auch den höchst wertvollen Rat, lieber etwas weniger pro Mahlzeit, dafür aber auch etwa ein-zwei Mahlzeiten mehr pro Tag zu essen. Außerdem soll man insofern nicht zu viel pro Mahlzeit essen, so dass man am Ende einer jeden Mahlzeit noch einen leichten Hunger verspürt. (Denn das eigentliche Sättigungsgefühl beim Essen tritt ja erst einige Zeit nach der Mahlzeit ein.)
So empfehlen geistliche Lehrer auch beim Beten ein solches Maß zu halten, dass man am Ende der jeweiligen Gebetseinheit noch Verlangen und geistigen Hunger nach weiterem Beten empfindet. So geht man dann sowohl der oben beschriebenen Gefahr der „Übersättigung“ aus dem Weg als auch erhält die so wichtige Freude an Gott und dem Gebet als der persönlichen Zuwendung an Ihn für die Zukunft!
Verlangt ja jedes aufrichtig und andächtig verrichtete Gebet von uns einiges an Kraft und Konzentration. Und jeder von uns verfügt nicht nur über ein jeweils verschiedenes Maß an seelischen wie physischen Kräften, sondern befindet sich auch auf einem jeweils anderen Stadium seiner Gottesbeziehung und der geistigen Reife im Glauben. Deswegen kann für uns auch eine jeweils verschiedene „Dosierung“ des Gebetes gut und klug sein – jeder nach seinem jeweils konkreten Stand.
Durch Besonnenheit und kluge Herangehensweise an die Frage sollen wir nämlich auch herausfinden, was das jeweils konkrete Maß an Gebet (seine Art und Dauer) für uns zur jeweiligen Zeit (sowohl generell als auch in Abhängigkeit von der jeweiligen Tagesform und in der jeweiligen Lebenssituation) auch gut und angebracht ist! So sagte auch einmal ein großartiger und seeleneifriger Priester meinem eigenen Vater, er könne ja als Bergmann, der in vier Schichten unter Tage arbeite, bei weitem nicht genau so viel beten, wie seine eigene Mutter, die Rentnerin war. Daher solle er dann aber auch jeden Tag bei Beginn der Arbeit ein kleines Kreuzzeichen machen und seine Arbeit unbedingt sehr gewissenhaft verrichten. Diese würde ihm dann von Gott sicher auch als eine Art von Gebet angerechnet werden!
■ Ein Seelsorger hat einmal eine Art von Regel formuliert, die man natürlich richtig verstehen muss: „Wer nur dann betet, wenn er betet, der betet eigentlich überhaupt nicht“. Gemeint ist, dass der, der seine Seele nur dann zu Gott erhebt, wenn er etwa in die Kirche kommt oder auch zu Hause vor dem sog. Herrgottswinkel offiziell das Kreuzzeichen macht und mit seinem Gebet beginnt, der betet eigentlich nicht ganz richtig.
Eigentlich soll das Gebet zu einer Art geistiger Grundhaltung eines Jüngers Jesu werden! Dass man nicht nur dann betet, wenn man es sozusagen zu den offiziellen Gebetszeiten macht, die man für sich wählt, sondern sich im Prinzip immer an Ihn wendet und Ihn preist. Die Seele soll immer geistig mit ihrem Schöpfer und Erlöser verbunden sein – ob bei Arbeit oder Ruhe, ob beim Reisen oder Rasten, ob bei Sorgen oder tiefster Zufriedenheit, ob beim Kreuztragen oder Empfinden von Glücksgefühlen usw.
Man kann es mit zwei Verliebten vergleichen. Wenn etwa Brautleute, Frischverheiratete oder auch erfahrene Eheleute nur etwa morgens 3 Minuten und abends 7 Minuten lang miteinander sprechen und die ganze übrige Zeit des Tages nicht einmal in Liebe aneinander denken, so dass sie dann auch eine echte Freude zu- und tiefe Dankbarkeit füreinander empfinden, dann ist in einer solchen Beziehung wohl eindeutig der Wurm drin.
So soll es doch auch einem jeden katholischen Christen ein echtes Herzensbedürfnis sein, nicht nur etwa das offizielle Morgen- und Abendgebet zu verrichten, sondern sich auch im Lauf des Tages bei verschiedenen Situationen an Ihn etwa in Form von kurzen Gebetsseufzern oder Stoßgebeten zu wenden! Gelingt da einem etwas, bedanke man sich für die erhaltenen Fähigkeiten und Talente entweder gedanklich oder auch mit einem kurzen Wort aufrichtig beim göttlichen Geber aller guten Gaben! Übrigens werden wir ja von der Kirche aus genau demselben Grund angeleitet, auch das Tischgebet zu verrichten!
Misslingt uns aber etwas, erleiden wir eine gewisse Niederlage oder müssen sogar Unrecht ertragen, soll kein etwa unanständiges Wort des Ärgers und des Frustes über unsere Lippen kommen. Nein, nehmen wir dies eher zum Anlass, sozusagen zwischendurch und kurz, wenn auch nur gedanklich, sowohl um Seinen Beistand und Seine Hilfe in der betreffenden Not als auch um ein höheres Maß an Demut zu bitten! Geht es uns aber gut und beschäftigt uns gerade keine große Sorge, drücken wir Ihm unsere große und ehrliche Dankbarkeit aus!
Wir sollen daran arbeiten und unsere Gottesbeziehung so anwachsen lassen, dass die geistige Realität Gottes von uns wie der lebenspendende Sauerstoff eingeatmet wird! Das bedeutet natürlich nicht, dass wir in jedem Satz dreimal „Gott“, zweimal „Jesus“ und einmal „Maria“ verwenden müssen. Nein, ein guter Katholik lernt auch da das richtige Maß zu halten und weiß auch über viele weltliche Sachen zu denken und zu reden. Er vermeidet sogar bewusst und absichtlich, etwa zu viel oder gekünstelt über Gott und die Religion zu sprechen!
Aber er begeht dann ebenso wenig den Fehler, von diesen ganzen weltlichen Dingen und Idealen auf eine solche Weise in Beschlag genommen zu werden, dass er etwa aus seiner gesunden Gottesbeziehung herausgerissen würde. Er weiß um die richtige Hierarchie der Werte und bemüht sich, nicht irgendwelche selbstgemachten und von den Menschen angebeteten Götzen an die Stelle Gottes als des höchsten Wertes zu stellen.
Gott entfacht in unserer Seele das gnadenhafte Feuer des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Unsere gesamte Gebetshaltung soll dazu dienen, dass wir dieses uns zutiefst beseligende Feuer zunächst einmal am Brennen erhalten. Denn würden wir überhaupt nicht beten, würde dieses Feuer ja früher oder später ausgehen. So legen wir dann durch unser Gebet als Zuwendung und Hingabe an Gott regelmäßig und in gesunden Abständen neues Brennmaterial hinzu. Zunächst muss also eine gesunde Konstanz dieses Feuers in unserer Seele bewirkt werden!
Diese Konstanz bewirken wir wohl nur durch eine gesunde Regelmäßigkeit unserer Gebete, die dann von ihrer Art und Dauer an unsere jeweils verschiedene geistige wie leibliche „Kondition“ angepasst sein sollten.
Haben wir diese gesunde Beständigkeit erreicht und eine Zeitlang gehalten, können und sollen wir uns im nächsten Schritt auch überlegen, ob und wie wir dieses „Feuer“ auf eine vernünftige Weise leicht verstärken könnten. Aber da wir dabei unbedingt von unseren Fähigkeiten und Kräften ausgehen sollten, sind ebenfalls Klugheit und Besonnenheit vonnöten! Denn würden wir auf einmal und in übertriebener Weise zu viel Holz oder Kohle zusätzlich in den betreffenden „Ofen“ werfen, könnte auch plötzlich und unerwartet eine solche starke Flamme und Glut entstehen, für welche wir vermutlich noch nicht gerüstet sein würden. Wegen unserer Unvorsichtigkeit und des falschen Eifers (welcher nicht selten vom menschlichen Stolz her rührt!) könnten wir uns dann sehr leicht und schnell verbrennen und dann auch noch bleibende Schäden für unseren Glauben und die Gottesbeziehung erleiden.
Das Gebet ist ein kostbarer Schatz, den man gut pflegen und klug verwalten muss. Sein Gebrauch soll vernünftig erfolgen, damit auf der einen Seite keinesfalls das Gnadenfeuer Christi in unserem Herzen abnehme und schlimmstenfalls sogar gänzlich erlösche, und auf der anderen Seite zur Überreizung unserer menschlichen Kräfte führe, was dann ja ebenfalls zu einem geistigen Desaster führen würde. Nein, das weise Maß-Halten und kluge Anwachsen der Gebetszuwendung an unseren Schöpfer und Erlöser soll bitte nur zur beseligenden Zunahme der Freude im Glauben und in der Liebe Gottes in unserem Herzen führen!

 

P. Eugen Rissling

 

 

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